Montag, 2. Februar 2015

Journalismus-Lektüre III

Die Schlagzeile einer Zeitung - ihr Aufmacher - ist die erste, weil augenfällige Kommunikation der   Redaktion mit der regelmäßigen und der unregelmäßigen Leserschaft. Die Schlagzeile ist deshalb eine dichte, kompliziert adressierte Kommunikation: die Sicherung des Kontakts mit der Leserschaft, die Beruhigung oder Ankündigung eines dramatischen oder tragischen Ereignisses oder eines dramatischen, tragischen Prozesses, die Bestätigung und Versicherung eines Triumphs, die Vermittlung der redaktionellen Haltung dazu sowie die verlockende Ankündigung der Auslegung oder Interpretation eines Ereignisses oder eines Prozesses. Der erste Blick auf die Schlagzeile dient für eine Leserin oder einen Leser der Orientierung und der Vergewisserung über den Zustand der eigenen und der fremden Welten, deren Grenzen sich je nach Weltlage und eigener Lebenssituation ständig verschieben und sich überlappen.

Die Schlagzeilen der Süddeutschen Zeitung.
Am Donnerstag, dem 29.1.2015: TSIPRAS SETZT AUF KONFRONTATION.
Am Freitag, dem 30.1.2015: ATHEN TRÄGT RUSSLAND-SANKTIONEN MIT.
Am Samstag, dem 31.1.2015: DES WIDERSPENSTIGEN ZÄHMUNG.   
Am Montag, den 2.2.2015: JUNKER MAHNT ATHEN ZUR MÄSSIGUNG.

Zweimal wird - abwechselnd - der neue griechische Regierungschef angesprochen (explizit und implizit), zweimal der Ort der Regierung. An zwei Tagen bringen die Schlagzeilen Bilder in den Umlauf, am Samstag wird der (deutsche) Titel eines William Shakespeare-Stückes umgewandelt. Angedeutet wird ein familiäres Bild: jemand hat sich nicht unter Kontrolle; die muss ihm beigebracht werden. Das geschieht normalerweise, wie wir wissen, am Tisch, wo man angehalten wurde, sich anständig zu benehmen und nicht den Augen zu folgen, die immer größer als der Magen sind.

Politische Prozesse zugeschnitten auf die familiären vier Wände. Dann kann, kann man beruhigt der Zeitung entnehmen, nicht allzu passieren - wenn so Viele auf den ungezogenen Jungen aufpassen. So gesehen zu werden wird der griechischen Regierung und deren Wählerinnen und Wähler nicht gefallen: dieses familiäre Bild bestätigt ihren (von mir vermuteten) Protest gegen erfahrene, befürchtete oder vermutete politische Bevormundungen durch die Institute der EU. Das ist der eine Subtext, der seit langem bei uns kursiert: die Verachtung griechischer Bürgerinnen und Bürger und griechischer Lebensverhältnisse.

Der andere Subtext ist das Bild von dem kommunikativen Prozess zwischen dem Chef der griechischen Regierung und dem Präsidenten der europäischen Kommission: wie mögen die beiden miteinander - wenn sie denn zu zweit waren - gesprochen haben? Wer hat von diesem Austausch intime Kenntnis?
Soll es so ähnlich  gewesen sein wie in den familiären vier Wänden?

So wird das Nicht-Vertraute vertraut gemacht. So gehen wir morgens nicht leer aus. So können wir gut mitreden. Die Aufmacher einer Zeitung sind natürlich nicht das letzte Wort einer Redaktion. Die Differenzierung findet im Inneren des Blatts statt. Aber man soll die Schlagzeile nicht unterschätzen. Sie setzt den Tonfall, gibt die Haltung vor und legt eine Perspektive nahe. Die familiaristische, personalisierte Perspektive ist eine häufig anzutreffende, journalistische Lesart - von einem oder ein paar Protagonisten lässt sich ein wenig erzählen. Leider verstehen wir, was in den relevanten Gremien und Sitzungen hinter geschlossenen Türen läuft, nicht besser. Wir müssen unseren Repräsentanten vertrauen, dass sie uns gut repräsentieren. Manchmal können wir etwas an den Inszenierungen und etwas jenseits der Inszenierungen entdecken. Und manchmal gibt es mutige Leute, die von der Innenseite der politischen Prozesse berichten.      

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