Freitag, 20. Februar 2015

Post aus Athen (vom 19.2.2015)

Der Brief der gerade gewählten, neuen griechischen Regierung traf bei den Regierungen der E.U. ein. Der Brief, berichtete gestern die Redaktion der Tagesthemen und heute die Redaktion der Süddeutschen Zeitung, regte zu mehreren Interpretationen an. Leider wurde die Lesart des für die Finanzen zuständigen bundesdeutschen Regierungsmitglieds nicht überall geteilt: weder in Brüssel, noch in Berlin, wo Sigmar Gabriel seinen Kollegen Wolfgang Schäuble relativierte. Schlimm?

Ziemlich.
Die Süddeutsche Zeitung titelte mit einem Wort aus dem Sprachschatz der Beziehungsdynamik: "Brief aus Athen führt zu einem Zerwürfnis". Zerwürfnis. Ist das die richtige Beschreibung für den politischen Prozess der Balancierung von Interessen und Macht? Zerwürfnis? Die Redaktion der der SZ schlägt wie so oft einen familiären Ton an: damit wir uns zu Hause wähnen. Der Untertitel zur Schlagzeile: "Finanzminister Schäuble stellt sich gegen Griechenlands Antrag, das Hilfsprogramm zu verlängern. Dafür erntet er Kritik von SPD-Chef Gabriel und erfährt wenig Unterstützung der anderen Euro-Länder". Der arme Herr Schäuble: er muss ertragen, wofür er ins Amt gewählt wurde. Die Ironie des Briefs besteht darin, dass er in (offenbar) geschliffenem Englisch verfasst wurde - und damit nicht das erfüllt, was unser strenger, mürrischer, humorloser Finanzminister (aus der Ferne gesehen)  - erinnern Sie sich, wie er einen Mitarbeiter seiner Behörde im November 2010 abkanzelte?  (s. meinen Blog vom 16.11.2010) - erwartet hatte: das Eingeständnis der Unterwerfung unter die Dame und den Herrn (und deren Beraterinnen und Beratern) aus Berlin. Dafür ist die griechische Regierung eben nicht gewählt worden und damit ist sie nicht angetreten. Alles ist nicht neu. Neu ist das Zähneknirschen. Das Schauspiel, als wäre man überrascht worden. Das Zähneknirschen zeugt vom Desinteresse und von der Verachtung griechischer Bürgerinnen und Bürger. Erstaunlich, dass die Redaktion der Tagesthemen und der Süddeutschen Zeitung so einstimmen über das Naserümpfen über die griechischen Politiker, die sich nicht an die vertraute Kleiderordnung halten. Stefan Kornelius schreibt dort in seinem Kommentar "Wenig Klarheit, kaum Vertrauen" (20.2.2015, S.4):

"Die Regierung Tsipras trägt an dieser Eskalation maßgeblich die Verantwortung. Das Spiel mit verdeckten Karten, die indirekte Manipulation über die Veröffentlichung von Gesprächsprotokollen, die Unaufrichtigkeit - dieser Verhandlungsstil zerstört alles Vertrauen. Aber auch ein Finanzminster Schäuble hat sich hinreißen lassen in seinem Zorn. Den Brief aus Athen hätte man jedenfalls weniger brüsk ablehnen können". Die Griechen, die Griechen.

Die Griechen? Was ist mit unseren Leuten? Großzügigkeit ist ein Fremdwort. Verständnis für die junge Generation griechischer Politiker und deren Auftrag ebenso. Wolfgang Schäuble sieht buchstäblich alt aus. Stefan Kornelius hat viel Verständnis für ihn und die bedrohte bundesdeutsche Regierung: "In Deutschland droht die AfD, und selbst die Koalition ist jetzt vom Spaltpilz der Regierung Tsipras infiziert". Oh je, oh je o jeh. Wieso macht Stefan Kornelius sich um sie so viel Sorgen?

Unten rechts auf der ersten Seite der Süddeutschen Zeitung ist die kleine Meldung (immerhin) zu lesen: "Das Armutsrisiko in Deutschland wächst". Und weiter: "Mehr als zwölf Millionen Menschen in Deutschland sind von Armut bedroht, so viele wie nie zuvor seit der Wende. Das geht aus einem Bericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes hervor. Im Norden und im Osten sind die Einkommen besonders niedrig". Eine großzügige Politik wäre nicht schlecht - für Europa und für uns.

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