Dienstag, 3. Februar 2015

Justiz und Psychiatrie: ein Missverständnis

Hans Holzhaider hat für die Süddeutsche Zeitung (3.2.2015, S. 13, Nr. 27) das Buch von Gerhard Strate Der Fall Mollath. Vom Versagen der Justiz und der Psychiatrie besprochen. "Strate geißelt", schreibt Hans Holzhaider, "die gesamte Zunft der forensischen Psychiatrie in der schärfsten vollstellbaren Form. Inkompetenz, Zynismus, Willkür, Willfährigkeit gegenüber den Vorgaben der Justiz: Diese Disziplin ist aus Strates Sicht nicht zu retten". Eine ganze Zunft für Makulatur zu erklären, ist ein grober Strich: kein relevantes Argument; es liegt auf dem Niveau der Kollektivschuld. Den Maßregelvollzug, so Holzhaider, hält Strate für ein unmögliches, weil paradoxes Unterfangen: jemanden zur Behandlung zu verurteilen, muss die Behandlung scheitern lassen. Das ist, auf den ersten Blick, nicht so verkehrt. Aber dazu man wissen, dass der Maßregelvollzug keine Heilbehandlung - wie jede andere Behandlung in unserem Gesundheitssystem - intendiert, sondern eine ausreichende Lebensfähigkeit, ohne erneut erhebliche Straftaten zu begehen. Erhebliche Straftaten ist die Formulierung im Gesetz und deutet den Realismus des Gesetzgebers an, der nicht erwartet, dass eine forensische Patientin oder ein forensischer Patient geheilt wird - wobei Heilung schon per se eine schwierige Kategorie darstellt.

Andererseits: auch wenn der Auftrag des Maßregelvollzugs (der Besserung und Sicherung, so das Gesetz in NRW - nicht jedes Bundesland hat ein Gesetz zum Maßregelvollzug) äußerst schwierig und ambitioniert ist, heißt das nicht, eine Behandlung im Rahmen dieses Gesetzes nicht zu versuchen. Der Auftrag des Maßregelvollzugs ist nobel, seine Realisierung allerdings sehr aufwändig und deshalb sehr teuer; die Frage ist, ob die bundesdeutsche Gesellschaft - nachdem der sozialdemokratische Regierungschef Gerhard Schröder sein Desinteresse als eine politische Orientierung ausgerufen hat - die Kosten aufzubringen bereit ist. Sinnvoll wäre es: verglichen mit den
Rückfallzahlen im Justizvollzug schneidet der Maßregelvollzug gut ab. Wobei man die Quoten nicht so
weiteres vergleichen kann; denn die Strafgefangenen sind - wahrscheinlich - anders strukturiert als die forensischen Patientinnen und Patienten. Erstaunlich ist, dass Hans Holzhaider diese Relativierungen in seiner Rezension nicht vornimmt.

Er schreibt diese beiden Sätze: " Tatsächlich sind Justiz und Psychiatrie unlösbar miteinander verflochten in der Annahme, man müsse Menschen, die andere gefährden, aufteilen in 'Schuldfähige' und 'nicht Schuldfähige' - in solche, die man bestrafen kann, und andere, die man 'behandeln' muss. Das ist der Kardinalirrtum unseres Justizsystems". Nein, dem liegt die rechtsphilosophische Entscheidung zugrunde, einen zweiten Weg offen zu halten für die, die ihrer Verantwortung auf Grund einer gravierenden Erkrankung nicht nachkommen konnten. Andere demokratisch verfasste Gesellschaften haben diese Entscheidung ebenfalls in ihr Rechtssystem integriert. Die Feststellung der Schuldunfähigkeit trifft das Gericht, nicht der oder die forensische Sachverständige. Der oder die Sachverständige gibt die begründete, plausible Einschätzung der Fähigkeit eines Beschuldigten ab, sich im Sinne des Gesetzes ausreichend kontrollieren und steuern zu können. Mehr nicht. Deshalb sind das Gericht und der oder die Sachverständige nicht verflochten, sondern deutlich getrennt durch den Auftrag der Erläuterung und Vermittlung, womit das Gericht in die Lage versetzt wird, sich ein angemessenes eigenes Bild vom Beschuldigten machen und Recht sprechen zu können. Möglicherweise wird auf Grund des öffentlichen Interesses an Erklärung und Beruhigung (angesichts erschreckender Straftaten) die Aufgabe und Rolle des oder der Sachverständigen überschätzt, die Bedeutung der Gerichtsverhandlung  als Ort der institutionalisierten Übereinkunft, Recht zu sprechen, unterschätzt (s. meine Blogs vom 23.4.2012 und vom 19.12.2014, S.4, zu zwei Hans Holzhaider-Texten).

Nachricht aus dem Bayern-Teil aus derselben Ausgabe (S. 26):
"Wegen eines Angriffs auf Polizisten mit einem Samuraischwert und einer Machete muss der 47 Jahre alte Robert B. für unbestimmte Zeit in eine Entziehungsanstalt. Das Landgericht Traunstein entschied sich im Prozess gegen den früheren Metzger damit überraschend gegen eine Unterbringung in einer forensischen Klinik".

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