Freitag, 27. Februar 2015

Der Schäuble-Kotau

Selbst-Einschätzungen sind gewöhnlich - wenn sie nicht sehr bedacht wurden - punktuelle Aussagen. Gestern, am 26.2.2015, brachte die Süddeutsche Zeitung ihren langen Text auf der Seite Drei über unseren Finanzminister - der Titel: Die Wucht - mit dessen Selbst-Einschätzung: "Ich bin nicht so furchtbar leicht aus der Ruhe zu bringen". Dementis, weiß man, beteuern oft vergeblich das Gegenteil.
Heute, am 27.2.2015, titelte die Süddeutsche Zeitung auf ihrer ersten Seite: "Schäuble 'fassungslos' über Varoufakis". Die Unter-Überschrift: "Griechenlands Finanzminister spricht wieder von Schuldenerlass und brüskiert die Union, Fraktionschef Kauder nennt ihn einen 'Halbstarken'. Trotzdem wird die Koalition die Hilfen billigen".

Wenn einer von sich sagt, er sei fassungslos, ist er noch nicht fassungslos: er kann ja noch sprechen.
Aber zwei publizierte Einschätzungen des Finanzpolitikers Schäuble belegen, was man von ihnen halten kann: wenig. Sie sind auch nicht relevant. Der gestrige Text Die Wucht - war das nicht früher in unserer Adoleszenten-Sprache eine enorm attraktive junge Frau? - mit dem heimeligen Untertitel: "Wolfgang Schäuble kann spöttisch sein, gemein - und sehr einfühlsam. Freunde wie Feinde eint aber eine Ehrfurcht: die vor seiner Energie. Eine Begegnung" versprach eine Begegnung, war aber ein Kotau der Bewunderung: Stichwort Ehrfurcht. Die beiden Journalisten, Nico Fried und Claus Hulverscheidt, zogen ihren (verbalen) Hut vor der Arbeitsleistung des Ministers. "Muss er sich das noch antun?", fragen sie. Offenbar.

Offenbar, kann man weiter vermuten, pflegt er die Erotik der Macht. Die blieb unerwähnt. Diskutiert oder erörtert wurden mit ihm auch nicht konzeptionelle Differenzen mit anderen Kollegen - mit sagen wir: Paul Krugmann, dem nordamerikanischen Wirtschaftswissenschaftler, Nobelpreisträger und regelmäßigen Kommentator in der New York Times (mein Gewährsmann), der die bundesdeutsche Politik kritisiert - Stichwort: Austerität. "Unsinn", wird Wolfgang Schäuble zitiert, "die Arbeitsmarktzahlen in vielen Ländern der EU haben mehr mit der Globalisierung und einer mangelnden Wettbewerbsfähigkeit zu tun als mit unserer angeblichen Sparpolitik". Der Herr bügelt schnell weg. Er ist sich so sicher. Er sagt nichts zu den Diskussionen in seinem Ministerium - in dem, muss man vermuten, doch nicht alle Beamten seiner Auffassung sind.  Nico Fried und Claus Hulverscheidt lassen es brav durchgehen - warum auch immer.

Wenn jemand die Komplexität leugnet, muss man misstrauisch werden. Wenn jemand die Komplexität leugnet und sie jemandem anlastet, muss man noch misstrauischer werden. Der halbstarke Grieche: ist natürlich ein Kompliment. Yanis Varoufakis lässt sich nicht abwimmeln. Er hatte eine Professur an der Lyndon B. Johnson School of Public Affairs an der Universität Texas in Austin; er ist zusammen mit James K. Galbraith Autor des Buches A Modest Proposal (zur Lösung der Europäischen Krise); beide veröffentlichten einige Ideen davon in der New York Times am 23.6.2013. James Galbraith ist im übrigen der Sohn des renommierten Soziologen John Kenneth Galbraith, des Autors von The Affluent Society. Keine schlechten Referenzen für Yanis Varoufakis.

Was soll der Vorwurf des Halbstarken? Die Politiker der Union evozieren das Bild einer adoleszenten Drohung - in den 50er Jahren demolierten die Halbstarken bei Rock 'n Roll-Konzerten die Sitzreihen -   und gerieren sich als die Bewahrer der Ordnung und der Finanzeinlagen; sie schüren  Befürchtungen und präsentieren sich als die beruhigende politische Macht. So hält man die Wähler. Es geht nichts über ein einfaches Feindbild.

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