Mittwoch, 18. März 2015

Journalismus-Lektüre V: geht es zu hoch her?

"Woher kommen dieser Hass, die Verachtung, die Verrohung", fragt Jasper von Altenbockum in der Frankfurter Allgemeine (vom 14.3.2015, S. 1, Nr. 62). Verrohung ist der Titel seines Textes. "Es vergeht kaum eine Woche", beginnt der Text, "in der sich die deutsche Gesellschaft nicht im Spiegel betrachten müsste - sie könnte sich kaum wiedererkennen". Die deutsche Gesellschaft kann sich im Spiegel nicht wieder erkennen, wohl die bundesdeutsche Gesellschaft, die seit dem Mai 1949 existiert. Jasper von Altenbockums erster Satz nennt das Problem: in der jungen demokratisch verfassten, bundesdeutschen Gesellschaft ist es nicht einfach zu leben. In der alten demokratisch verfassten, nordamerikanischen Gesellschaft beginnen die Bürgerinnen und Bürger zu realisieren, wie sehr der alte Rassismus noch immer virulent ist und den Alltag belastet. God's own country, die Vereinigten Staaten von Amerika, sind noch nicht für Alle God's own country.

Jasper von Altenbockum gibt diese Beschreibung einer Stimmungslage in der Bundesrepublik Deutschland:
"Die Angst geht wieder um in den Deutschland - vor dem Euro, vor dem Krieg, vor der Technik, vor der großen weiten Welt, vor der Zukunft; noch mehr aber, noch eingefleischter, noch irrationaler, vor der Politik. Ihr wird alles unterstellt, was nur möglich ist. Dabei merken die Meckerer, die Besserwisser, die Verhinderer nicht, dass jedes Mal, wenn sie wieder einmal eine 'korrupte Politikerkaste' verprügeln oder gegen eine 'gleichgeschaltete Lügenpresse' mit all ihrem Hass hetzen, sie der Demokratie damit leise servus sagen. Die hat etwas Besseres verdient".

Nein, damit wird die Demokratie nicht verabschiedet: sie wird begrüßt. Streiten kann man sich nur dort, wo dafür Platz ist und wo ein Rahmen markiert ist. Heftiger Streit ist ein gutes Zeichen. Er ist schrecklich, und man möchte den Kopf einziehen. Leider sind wir nicht in einem Seminar, in dem eine Redeliste geführt wird. Öffentliche Diskussionen, die nicht mehr diskutieren, sondern zulangen, haben wilde Züge. Unser demokratischer Rahmen hält das aus. Heftiger Streit ist das Beste, was uns passieren kann.


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