Freitag, 28. Juni 2019

Was ist ein "politischer Mord"?

Unsere öffentliche Diskussion hat sich schnell darauf verständigt, die Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke als politischen Mord zu bezeichnen. So benutzt Reinhard Müller in seinem Kommentar Republik in Gefahr (F.A.Z. vom 27.6.2019, S. 1, Nr. 146) diese Formel vom politischen Mord.

Unser Strafgesetzbuch kennt nur den Mord. "Mörder ist", so führt der § 211 aus, "wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken, einen Menschen tötet". Wie passt das Adjektiv politisch dazu?

Gar nicht. Politisch ist, so die Etymologie des griechischen Wortes, auf die Bürgerschaft und Staatsverwaltung bezogen im Interesse einer konstruktiven Absicht. Die Destruktion ist nicht politisch. Deshalb ist die Formel vom (vermeintlich) politischen Mord ein Missverständnis. Ein Mord ist ein Angriff auf das Fundament der Verbote und auf die Vernunft des Gesetzes; er erschüttert die institutionelle Ordnung und stellt das Problem ihrer Re-Balancierung. Ein Mord ist ein Zivilisationsbruch. Wieso wird ihm das noble Adjektiv politisch angehängt?

Offenbar gibt es wie so oft ein enormes Bedürfnis nach rascher Beruhigung. Wir sind bei dem so schwer zu greifenden Grundgefühl bundesdeutscher Identität und der in unserer Öffentlichkeit ständig kursierenden, nagenden Frage: haben wir das, was wir bewältigt zu haben wähnen, bewältigt? Die grandiosen zwölf Jahre nationalsozialistischer Regierung waren die (sehr unterschiedlich geteilte) Zeit eines gewissen Vergnügens an der maßlosen Orgie der Destruktion. Sigmund Freuds Wort von der persistierenden Feindseligkeit gegenüber der Zivilisation sollten wir nicht vergessen. Sie bleibt anwesend - wie und in welchem Ausmaß ist meines Wissens für die Bundesrepublik nie gründlich exploriert worden. Beispielsweise sind Nationalsozialismus, Antisemitismus oder Rassismus Passpartout-Begriffe für divergierende Kontexte der Eigen- und Fremdpositionierung ohne einen einigermaßen geteilten Konsensus. Viel geht durcheinander.  Weggucken gilt nicht. Jene Drei-Personen-Gruppe, die auf einem mörderischen Raubzug war, mit dem schrägen Etikett Nationalsozialistischer Untergrund zu bezeichnen und in der öffentlichen Diskussion gewissermaßen negativ zu adeln, ist eine buchstäblich tolle Wort-Schöpfung und Beleg dafür, dass bislang seit der Gründung unserer Republik vor 70 Jahren nicht so viel verstanden wurde. Mit der Bezeichnung vom Untergrund ist beispielsweise die interne und die externe Beziehungsdynamik der Gruppe nicht verstanden; das Gerichtsverfahren konnte sie nicht aufklären - und hielt seltsamweise an der Bezeichnung fest. Die Waffen-Faszination mancher robust und mit viel Metall rasselnd sich präsentierenden Gruppierungen, die an die alten Zeit erinnern und sie versuchen aufleben zu lassen, muss verstanden werden. Ernsthafte, geduldige und aufwendige Forschung ist zu empfehlen.  Das Entsetzen, die Empörung und der Abscheu sind zu wenig. Die Grenze zur Strafbarkeit ziehen unsere Gesetze. Man muss sehen, was Stefan E. zu dem von ihm inzwischen zugestandenen Mord bewegte, wie er sozialisiert wurde und mit wem er welche Beziehungen pflegte.

(Überarbeitung: 2.7.2019)

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