Mittwoch, 18. Januar 2012

Begriffs-Schmuggelei

"Wir lesen die Träume von Ratten", verkündet Matthew Wilson, Kognitionsforscher am Massachusetts Institute of Technologie, dem Interviewer Hanno Charisius, dessen Gespräch die SZ heute mit dem selben Satz titelt (S. 16). Matthew Wilson liest die Träume der Ratten nicht, räumt er ein, sondern er vergleicht die Aktivitätsmuster der Gehirne der Ratten. Das Aktivitätsmuster der Verfassung, die er als Träumen bezeichnet, ähnelt dem Aktivitätsmuster, das die Ratte erkennen lässt, wenn sie ihren Weg durch das Labor-Labyrinth sucht. Vergleichen ist etwas anderes als Lesen. Vergleiche ich zwei Bücher hinsichtlich ihres Gewichts, habe ich sie noch nicht gelesen. Wie viele Muster neuronaler Aktivität hat Matthew Wilson bislang gefunden? Hat er die Muster neuronaler Aktivität verglichen mit Mustern neuronaler Aktivität außerhalb des Labors? Möglicherweise gibt es Labor-spezifische Muster neuronaler Aktivitäten. Und schließlich: Wie kann man von einem Muster neuronaler Aktivität sagen, es entspreche einer Traum-Verfassung und die Ratte träume? Erwin Straus nannte das Produkt dieser Argumentationstechnik: die Schmuggelware der Erlebnispsychologie. Ein Vorverständnis vom Traum dient zum Verständnis eines Musters neuronaler Aktivität. Wobei man nicht sagen kann, wir könnten uns leicht über eine Traum-Verfassung verständigen. Deren Innenseite ist äußerst schwer zu beschreiben. Was macht man, wenn man die Innenseite nicht erfassen kann? Der Kognitionsforscher, der mit dem Erkennen schludrig umgeht, behilft sich mit einer verbalen Nebelkerze. So kommt Pseudo-Forschung in die Zeitung.

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