Samstag, 14. Januar 2012

Formen sprachloser Verweigerung

Unter dem Titel Abgehängt, ausgeklinkt und aggressiv berichtet Helmut Frangenberg vom Kölner Stadt-Anzeiger heute (S. 29) über die Befragungsstudie der Meschenicher Einrichtung der Jugendzentren Köln gGmbH. Zwanzig Schulschwänzer, wie wir sagen, wurden befragt; ein Schulmüdigkeitsporträt erstellt. Die Studie ist ein Glücksfall; denn die Jugendlichen, die befragt wurden, sind sonst unerreichbar. Ein Jugendlicher sagte, so Helmut Frangenberg, in der Befragung: "Mich hat gar nicht interessiert, was die Lehrer gesagt haben.Nur wenn die was falsch gesagt haben, bin ich zu denen und habe gesagt: Was labern Sie?"

Wieso handelt dieser (und andere) Jugendliche gegen sein Lebensinteresse, sich in der Schule auszurüsten für sein erwachsenes Leben? Helmut Frangenberg zählt die Erklärungen auf: "Über- und Unterforderung, falsche Rollenzuweisungen in den Familien, schwere seelische Erkrankungen, echte Notlagen". In der Aufzählung kommt die Schule nicht vor. Schulschwänzen ist ein sprachloses Sprechen und ist Ausdruck einer sprachlosen Verweigerung. Etwas an der Schule ist unerträglich, sagt es. Was könnte es sein? Die Schule ist ein Ort schiefer, asymmetrischer Beziehungen. Asymmetrische Beziehungen zu ertragen gehört zu unserem Alltag - in der Familie, auf der Arbeitsstelle, im Gesundheitssystem, in den Beziehungen zu Repräsentanten von Institutionen beispielsweise. Asymmetrische Beziehungen stellen - unausgesprochen - sofort die Frage nach der eigenen Position, dem Status und dem Stolz. Asymmetrische Beziehungen kränken. Kränken sie zu sehr - aus welchen Gründen auch immer - , machen sie wütend, gereizt und leiten den Rückzug von der Anstrengung ein, die eigenen Lebensinteressen zu behaupten. Die Folge ist eine Form sprachloser Verweigerung und aggressiv-depressiver Unzugänglichkeit. Schulschwänzen ist eine alarmierende Form eines wütenden, hilflosen Protests junger Leute, die sich vor ihrer Zukunft fürchten. Die Hilflosigkeit sollten wir in den Blick nehmen und uns von der Wut nicht abschrecken lassen. Das ist nicht einfach. Das Jugendzentrum Meschenich hatte die Pädagogen der umliegenden Schulen mehrmals eingeladen. Sie nahmen die Einladung nicht an.

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