Montag, 18. April 2016

Journalismus-Lektüre XVI: "beibringen"

Heute Morgen las ich den mit Angst vor dem Brexit getitelten Kommentar von Winand von Petersdorff. Die Angst verstehe ich hier als die knallige Beschreibung, die eher anlockt als die in diesem Kontext zu verwendende Furcht: Titel sind Produkte der Redaktionspolitik (Frankfurter Allgemeine Zeitung). Das Ende des kleinen Textes fand ich interessant: Der U.S.-Präsident besucht Großbritannien, heißt es dort. Die beiden letzten Sätze:

"Obama fürchtet, dass der Brexit eine zusätzliche Fragmentierung Europas
beflügeln könnte, der Währungsfonds fürchtet Schocks für die Weltwirtschaft.
Wie bringt man das den Briten bei?"

Wie bringt man das den Briten bei? Der Satz ist eine Anmaßung. Den Briten braucht man  das gar nicht beizubringen. Das wissen sie. Das Verbum beibringen hat für mich einen schlechten Klang: das Beibringen ist von der Dressur nicht weit entfernt. Wo befindet sich der Autor Winand von Petersdorff? Ich wüsste gern, welche Erfahrungen er mit Großbritannien gemacht hat: wie lange hat er dort  gelebt? wo? in welchen Lebensverhältnissen?

Journalismus, das sagte ich schon, lebt auch vom Vergnügen an der Behauptung und von der Illusion der geringen Haltbarkeit der Texte: das ist meine Erfahrung als Leser und als Autor  -  wer schafft es schon, eine Tageszeitung komplett und genau zu lesen? Und natürlich lebt der Journalismus auch
vom Vergnügen am gelungenen Text. Wie immer geht es um die Balancierung der Bedeutung des Geschäfts. Das Lese-Publikum rezipiert in der Position von Beobachtern, die andere Beobachter (die
Journalistinnen und Journalisten) beobachten, die wiederum andere Beobachter (Teilnehmerinnen und Teilnehmer des politischen Prozesses und der gesellschaftlichen Diskurse) beobachten. Diese
Idee stammt von Niklas Luhmann (aus: Die Realität der Massenmedien). Mich interessiert die Frage: wie repräsentativ ist die punktuelle Beobachtung des Gebrauchs der Sprache: beispielsweise des Verbums beibringen? Sagt er etwas über die Redaktion der Frankfurter Allgemeine Zeitung? Über deren Status, Qualität, Konflikthaftigkeit und Realitätsorientierung als Beobachter der Beobachter? Winzige Stichproben - regelmäßig unregelmäßig genommen - sind vielleicht, hoffe ich, nicht schlecht.

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