Mittwoch, 5. Februar 2014

"Gelegenheit macht Diebe"

Wolfgang Franzen, den die SZ heute (5.2.2014, S. 9, Nr. 29) mit einem Interview als "Steuerpsychologe von der Forschungsstelle für empirische Sozialökonomie" vorstellt, antwortet auf die Frage, weshalb vom wem Steuer-Betrug begangen wird:

"Gelegenheit macht Diebe. Selbstständige etwa haben andere Möglichkeiten als Angestellte. Und Reiche lassen sich beraten, wo sie ihr Geld parken können. Andererseits gilt aber auch für Menschen, die aktuell keine Gelegenheit zur Hinterziehung haben: Wenn sie könnten, würden sie es tun".

Im Englischen heißt es anders: Don't invite crime. Der Täter wartet, seine Straftat zu begehen; darum sei vorsichtig. Die englische Redewendung gilt für Kriminelle oder, anders gesagt, für Leute mit dysfunktionalem Gewissen und einer Neigung zum Realitätsverlust. Denn nicht jeder steigt in einen unverschlossenen Pkw und räumt ihn aus oder braust damit davon.  Dass jeder stehlen würde, sähe er die Möglichkeit, ungeschoren davon zu kommen - ist eine jener seltsamen deutschen Behauptungen moralischer Großzügigkeit, die den Status einer Allaussage hat. Sie ist eine wilde (Theorie-lose) Vermutung und lässt sich nicht überprüfen. Sie stellt eine ethische, intellektuelle, wissenschaftliche Nachlässigkeit dar. Wenn wir alle eine laxe Moral pflegen, müssen wir uns nicht verantworten und Schuld differenzieren. Das ist der Trick der Entschuldung mit dieser Logik: weil jeder wahrscheinlich einmal zu schnell gefahren ist oder falsch geparkt hat, ist er oder sie auch anfällig für gravierende, strafrechtlich relevante Handlungen. Das Problem der Stabilität unserer Zivilisiertheit ist enorm kompliziert, das Problem, wann wir wie in welchen Kontexten handeln, mit der Rede von der Gelegenheit nicht geklärt. Den öffentlichen Aufschrei bewegen viele Kontexte; Steuer-Redlichkeit gehört zu dem gemeinsamen Handeln, das das Gefühl von Gerechtigkeit unserer Gesellschaft bestätigt. Wird es verletzt, ist der Kern unseres Selbstverständnisses betroffen. Um eine ausführliche (heftige) öffentliche Diskussion kommen wir nicht herum.

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