Sonntag, 9. Februar 2014

Nebel-Narrative

Im vergangenen Jahr hatten wir das Narrativ des Freundschaftsverrats. Das geht nicht, konstatierte damals die Bundeskanzlerin, die damit, meine Vermutung, der Veröffentlichung des SPIEGEL mit einer Inszenierung der Empörung glaubte zuvor kommen zu müssen (s. meinen Blog vom 12.11.2013). Auf den Verrat folgten die Reparatur-Versuche der Freundschaft: die politisch begründeten Beziehungs-Klärungs-Versuche, unterfüttert von einer Empörung über die (angeblich) unerwarteten Aktivitäten der U.S.-Geheimdienste. Gleichzeitig konnten wir in unseren Fernseh-Rederunden Differenzierungsversuche zwischen der Beziehungsrealität der Freundschaft und der Partnerschaft beobachten: U.S.-Politiker und U.S.-Politikerinnen bewegen sich in Beziehungen der Partnerschaft, nicht der Freundschaft. Freundschaft: das war schon die vom ersten Bundeskanzler gepflegte Erzählung vom freundschaftlich besetzten Land und dessen wachsender Souveränität, worüber unsere Regierungen unklare Auskunft gaben und geben. Dann kam die Bundestagswahl und mit ihr das Mutti-Narrativ - eine Erfindung der öffentlichen Diskussion, in der über die vermeintlich unerschütterliche Popularität der Kanzlerin gerätselt wurde; in meiner Wahrnehmung zum ersten Mal ausgesprochen in der SZ, die dem Psychoanalytiker Tilmann Moser das Forum einräumte, das Mutti-Narrativ als dessen Lesart ihrer kommunizierten Politik im vertrauten familiären Verständnis auszubreiten und das Verratsnarrativ fortzusetzen (s. meinen Blog vom 27.8.2013). Der Wahlsieg der Union war dann - in dieser Lesart - der Ausdruck einer Mutter-Sehnsucht. Jetzt haben wir das Klatsch-Narrativ. Jeder kennt das Muster und die Falle: Heinz fragt Paul, ob er gehört hätte, was Gerd gestern über ihn sagte. Paul, wenn er klug ist, wird sich für diese Frage bedanken und Heinz fragen, was er ihm damit sagen wolle; womit Heinz nicht mehr als der wolhlwollende Bote durchgeht, sondern als ein intriganter Täter dasteht. Reagiert er unklug und uncool, wird Paul sich nach Gerds Aussage erkundigen. Womit Paul die Regel des Takts verletzt, auf nur an ihn direkt (und nicht über Bande) adressierte Kommunikationen zu reagieren, und sich in der Spirale des Klatsch-Narrativs verwickelt. Jetzt hat die U.S.-Amerikanerin Victoria Nuland, für die politischen Beziehungen zu Europa zuständig, in einem Telefonat mit ihrem Kollegen Geoff Pyatt (Botschafter in Kiew) robust auf Europa geschimpft. Offenbar hat der russische Geheimdienst ihren Fluch an die Öffentlichkeit zur Verfügung weiter gegeben. Niemand hat sich bislang (meines Wissens) für diese Art politischen Klatschs empört (und Victoria Neuland in Schutz genommen), sondern über den an die bundesdeutsche Öffentlichkeit nicht adressierten, nicht so freundlich gemeinten Fluch. Schon wieder ist das Narrativ des Freundschaftsbeziehungs-Verrats in Gang gekommen. Bundeskanzlerin Angela Merkel, im Kontext des Klatsch-Narrativs, hält das für absolut inakzeptabel, Kurt Kister, Chef-Redakteur der SZ für spätpubertäre Kraftmeierei (8./9.2.2014, S. 4, Nr. 32), der "oft Überzeugungen zugrunde liegen" würde (welche meint er wohl?); Klaus-Dieter Frankenberger empfiehlt (FAZ, 8.2.2014, Nr. 33, S. 1) zumindest, den Empörungspegel runterzufahren.

Was besagt dieser Strauß an Polit-Narrativen?
1. Politik-Kontexte werden in den öffentlichen Foren als Erzählungen vertrauter familiärer, intimer Fantasien kommuniziert. Die Fantasien sind unterfüttert mit den Sehnsüchten und Wünschen nach Verschmelzung und möglichst geringer Differenzierung (Freunde sind einem nah, vertraut und betonen die Gemeinsamkeiten, kaum die Differenzen): wir befinden uns in unseren vier Wänden, in denen wir unsere alltäglichen, persönlichen, nicht riskanten (fremden) Beziehungen pflegen. Solche Fantasien haben mit den demokratischen Prozessen der Auseinandersetzung und des Aushandelns von Differenzen und fremden Interessen bei sehr unterschiedlichen Beziehungen wenig zu tun; denn bei ihnen geht gerade es um den Umgang mit Fremdheit, Konflikten und Kompromissen. Diese hier aufgelisteten Polit-Narrative deuten das Niveau unserer demokratischen Kultur an.
2. Natürlich kann man von den kommunizierten Narrativen, die so viel Aufmerksamkeit der öffentlichen Diskussion beanspruchen, nicht auf die Beziehungsrealität schließen, in der bundesdeutsche politische Prozesse in den nicht-öffentlichen Räumen stattfinden. Aber sie dienen der Verständigung über politische Prozesse; wobei sie einen kommunikativen Nebel erzeugen, der die Politik unserer Verfassungsorgane verdeckt. Bevorzugt werden Fantasie-geladene Metapher wie beispielsweise Schirm oder Wende; die dazu gehörige Politik wird unzureichend erklärt. Angela Merkel erzählt - vermutlich mit Bedacht und beraten von ihren Beratern -  die familiaristischen Geschichten weiter. Was machen übrigens unsere Geheimdienste?  Sie scheinen sich buchstäblich hinter dem breiten Rücken ihrer U.S.-Kollegen zu verstecken; während ich das Bild der U.S.-Behörde vor Augen habe, weiß ich gar nicht, wie unsere Behörde aussieht.

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