Freitag, 8. August 2014

Die angewiderte Rezensentin

In der SZ vom 29.7.2014 (Nr. 172, S. 15) besprach Dorion Weickmann die von Katrin Himmler und Michael Wildt herausgegebene Korrespondenz der Eheleute Marga und Heinrich Himmler. Sie quälte sich durch die Briefe: "Wäre Himmler nicht einer der größten Menschheitsverbrecher aller Zeiten, so hätten die papiernen Zeugnisse seiner Ehe-Allianz nicht die mindeste Notiz verdient". - Ihr Resümee: "Am 17. April 1945 verfasst Himmler eine Art Abschiedsepistel, setzt ein 'Heil Hitler!' darunter, zu dem sich 'viel viel liebe Bussi' gesellen. Keinen Monat später bringt er sich um. Marga überlebt ihn um gut zwanzig Jahre. Bleibt als Fazit: Diese beiden hatten einander vollauf verdient".

Was wissen wir aus dieser Besprechung von den Eheleuten, die Dorion Weickmann ausgemachte Gefühlsautisten nennt? Mehr nicht. Sie hat ihre Ekel-Reaktion nicht weiter ausgewertet. Sie hat die Diskussion um Hannah Arendts umstrittenes Wort von der (vermeintlichen) Banalität des Bösen nicht aufgegriffen und weiter diskutiert. Das ist erstaunlich, weil Katrin Himmler und Michael Wildt sich auf Hannah Arendt beziehen, aber deren Konzeption bestreiten: "Es ist nicht die 'Banalität des Bösen', die in diesen Briefen aufscheint. Himmler war keineswegs, wie Hannah Arendt fälschlicherweise in Adolf Eichmann zu erkennen glaubte, ein Rädchen in einem arbeitsteiligen, totalitären Getriebe, ein Mensch, der keine Vorstellung mehr davon zu entwickeln imstande war, was seine Tätigkeit anrichtete". Das aber hatte Hannah Arendt nicht gemeint; die Rezeption ihres Konzepts von der Banalität leidet unter der wörtlichen Übersetzung des englischen banality. Sie meinte damit: die Unfähigkeit der Einfühlung, den kompletten Mangel an Fantasie, die Unfähigkeit zu denken und die fürchterlich normale Monstrosität einer rührselig kommunizierten, mörderischen Gefühllosigkeit. Ohne es zu realisieren, bestätigen Katrin Himmler und Michael Wildt die Arendtsche Konzeption - sie schreiben: "Diese Deformierung der Normalität, die Gewalt, die sich in der Harmlosigkeit verbirgt, die Eiseskälte, die mit der vordergründigen Fürsorglichkeit einhergeht, und die unbeirrbare moralische Selbstgewissheit noch beim Massenmord geben diese Briefe zu erkennen" (S. 22 - 23).

Mit der Banalität, die ich mit der Gewöhnlichkeit des Normalen übersetze, ist ein schwerer Sozialisationsschaden verbunden; die Abstumpfung eines Menschen ist ein gravierender Defekt. Warum hat es Hannah Arendts Konzeption so schwer? Weil man sich der entleerten Gefühlslosigkeit, die ein tiefer Hass bewegt, nicht nähern kann oder nicht nähern möchte. Und weil man sich nicht vorstellen kann oder sich nicht vorstellen möchte, dass die nationalsozialistischen Cliquen  monströse Gruppierungen des Hassens waren, deren Ämter, Funktionen, Organisationen und öffentliche Inszenierungen ihre innere Realität gewissermaßen einnebelten. Man muss nicht von der Größe des Feuers auf die Größe des Brandstifters schließen.    

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen