Dienstag, 19. August 2014

Differenzieren ist gut

Ulrich Beck, der Soziologe aus München, äußerte sich in der SZ (11.8.2014, Nr. 183, S. 9) zur, wie er es im Titel seines Textes nannte, Globalisierung des Antisemitismus. Er hat, so sagt er, die Unfähigkeit zu unterscheiden beobachtet:

"Wir - viele Deutsche und andere Europäer - setzen deutsche, französische, italienische  Juden mit Israelis gleich. Plötzlich werden die Nachbarn wieder zu Juden gemacht und damit zu Ausländern in ihrem eigenen Land, in Deutschland, Frankreich, Italien und anderenorts. Und diese Unfähigkeit zu unterscheiden - die Tatsache, dass alle Juden mit Israelis gleichgesetzt werden und alle Israelis mit Palästinserkillern - ist ein wesentlicher Hintergrund für die neue Welle des Antisemitismus".

Unterscheiden ist immer gut. Zuerst einmal möchte ich unterscheiden zwischen der israelischen Regierung und der israelischen Politik (auf der einen Seite) und den israelischen Bürgerinnen und Bürgern auf der anderen. Dann stimmt nämlich dieser Satz nicht mehr: "Das gegenwärtige Israel setzt wieder stärker auf militärische Überlegenheit als zuvor". Zwar schränkt Ulrich Beck diesen Satz später wieder ein, indem er vom Ministerpräsidenten spricht und damit die Regierung einführt, aber sein Fokus ist auf "Israel" gerichtet - womit sich das Vorurteil festsetzt: als würde die Politik der israelischen Regierung unisono geteilt. Ich kenne Israelis, die entsetzt sind über die Siedlungspolitik ihrer Regierung.

Zur neuen Welle des Antisemitismus und zur Globalisierung des Antisemitismus. Zwei Stichwörter, die bedrohlich klingen: ein altes Unwetter braut sich zusammen. Das ist die Frage. Die Globalisierung des Antisemitismus ist eine zu schnell formulierte Formel. Das Internet hat riesige, weitreichende Foren zur Verfügung gestellt. Je größer eine Gruppierung, um so mehr beschleunigt sich ihre Dynamik. Das ist nicht neu; wir kennen das aus dem Alltag: sprechen  wir zu zweit, kann man sich Zeit lassen; man wartet aufeinander. Sprechen wir zu viert, wird es eng; man muss sich hier und da beeilen, zu Wort zu kommen. Sind wir zu zwanzig, muss man sich anstrengen. Ein englisches Sprichwort sagt dazu schön: two is company, three is a crowd. Dagegen haben die Internet-Foren gewaltige Größen. Mit der Beschleunigung findet auch ein Nachlassen der Kontrolle statt: kommuniziert werden häufig die ersten Einfälle in ihrer kruden Gedanken-Form (darunter leidet dieser Blog auch; glücklicherweise kann ich nachpolieren). Das ist in einer Psychotherapie nicht schlecht, da ist der nicht kultivierte oder kontrollierte Impuls willkommen im Prozess der Klärung abgewehrter Lebensaspekte. Im interaktiven Austausch ist das schwierig: wir werfen uns dann unsere Vorurteile vor die Füße. Wie in einer (therapeutischen) Gruppe muss man darauf vertrauen, dass die ersten Einfälle auch in einem Internet-Forum nach und nach differenziert werden.

Die gute alte Vorurteilsforschung der Sozialpsychologie ist irgendwie aus der Mode gekommen. Vorurteile sind der Alltag; sie dienen unserer raschen Orientierung: die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen. Vorurteile muss man für sich selbst klugerweise beweglich halten und an der Erfahrung kontrollieren; dann verändert sich das dichotome Schema. Es gibt die (sehr verständliche) Furcht vor Beton-harten Vorurteilen  - der Gegenimpuls des Zurückschreckens heißt dann rassistisch oder antisemitistisch. Aber so lange Vorurteile nicht als Handlungsanweisungen - was sie oft waren und noch sind -  verstanden werden, sind sie kognitiver und affektiver Balllast, der die von ihnen Adressierten kränkt, irritiert, beunruhigt, ängstigt. Antisemitismus ist dann bedrohlich, wenn er als Aufforderung kommuniziert wird, sich auf einen Hass einzustimmen mit einer Fantasie der Vernichtung und  einem mörderischen Impuls.  Für den verbalisierten, kommunizierten Hass haben wir eine genaue Gesetzgebung. Das Problem ist heute - das soll wohl das Stichwort von der Globalisierung besagen - die gewissermaßen blitzartige, verbalisierte und weithin kommunizierte Vermischung von Vorurteilen mit einem (selbstgerechten) affektiven Spektrum, das von Abweisung bis Ekel und Hass reicht. Es ist schwierig sich zurecht zu finden. Es gehört zur Tragödie unserer Zivilisation, dass der Antisemitismus eine kulturelle Konstante darstellt, deren Lautstärke wechselt. Es  gehört zur guten bundesdeutschen Übereinkunft, dass wir seine Melodie nicht hören wollen. Obwohl ich zu meiner Orientierung manchmal ganz gern die Sänger sehen würde.


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