Freitag, 8. August 2014

Komische psychologische Forschung

Rotationsdrucker nennen die Teile einer Tageszeitung (Politik, Feuilleton, Wirtschaft, Sport): Bücher.
Die letzte Seite des Feuilleton-Buches der SZ hat den Titel Wissen. Leider vermittelt das Wissen manchmal wenig Wissen. Qualitative Psychologie geisteswissenschaftlichen Zuschnitts (oder Paradigmas) hat schlechte Karten -  psychoanalytische Konzepte haben ein sehr gemischtes Blatt. Meine Großmutter kommentierte ihr schlechtes Blatt beim Rommé regelmäßig mit: Von jedem Dorf 'n Hund. Im Wissen werden hier und da die komischen Hunde durchgetrieben. Letztes Beispiel: Sebastian Herrmanns Text Was bin ich gut. Narzissten räumen ihren Wesenszug freizügig ein (SZ vom 6.8.2014, Nr. 179, S. 14).

Um was geht es? Um die Studie von Sara Konrath, Brian P. Meier und Brad J. Bushman Development and Validation of the Single Item Narcissism Scale (SINS). Im Internet kann man sie nachlesen unter Plos one. Die Autoren entwickelten ein Befragungsinstrument, das aus einer Frage und einer Skalierung bestehen sollte. In elf Studien prüften sie die Zuverlässigkeit und Trennschärfe - was die Konstrukteure psychologischer Tests Reliabilität und Validität nennen -  der einen Frage in etwa dieser Form (sie wurde im Laufe der Untersuchung modifiziert): "To what extent do you agree with this statement: I am a narcissist (note: The word ' narcissist' means egotistical, self-focused, and vain)". 838 Studenten und 1330 Erwachsene waren gebeten worden, das Ausmaß ihrer Zustimmung zu dieser Fragevorgabe auf einer Skala von 1 bis 11 (später von 1 bis 7) einzuschätzen. Gleichzeitig waren ihnen (in jenen elf Einzelstudien) andere, aufwändigere Verfahren zur Selbsteinschätzung vorgelegt worden. Die verschiedenen Befunde wurden dann mit den Skalenwerten des SINS  korreliert, um zu überprüfen, ob das SINS-Verfahren erfasst, was die Forscher zu erfassen beabsichtigen.

Fazit: die Befunde des SINS-Verfahrens lassen sich vergleichen mit den Resultaten der anderen Verfahren; Korrelationen sind häufig signifikant, aber niedrig; es gibt widersprüchliche Resultate. Das Verfahren eignet sich nicht für die klinische Praxis; das zugrunde liegende Konzept einer narzisstischen Persönlichkeit ist eindimensional und schlicht und berücksichtigt nicht das prekäre Gefüge (narzisstischer) Selbst-Regulationen. Die Autoren vermischen ein Alltagsverständnis von "Narzissmus" mit einem klinischen Verständnis, bei dem unterschieden wird zwischen einem Spektrum eines notwendig stabilen Selbstgefühls und einem Spektrum eines pathologisch empfindlichen Selbstgefühls. Sebastian Herrmann greift das nicht auf. Er ist auch nicht informiert über die Evolution des Narzissmus-Konzepts, das zuerst Sigmund Freud vorlegte als eine Dimension seelischer Regulation (mit einer etwas negativen Konnotation), dann Heinz Kohut modifizierte mit seinem Konzept eines gesunden Narzissmus, das Otto Kernberg dann mit seinem Konzept eines pathologischen Narzissmus erweiterte; eine nordamerikanische Zeitdiagnose lieferte Christopher Lasch mit seinem viel beachteten Buch "The Culture of Narcissism. American Life in An Age of Diminishing Expectations" (1978).

Aber seine im Titel seines Textes angedeutete Verwunderung - wie kann ich nur... so etwas zugeben -, die er wenig später ausformuliert mit dem Satz: "Sind sie obendrein bescheuert, dass sie ihr Wissen wie einen Orden vor sich hertragen?", belegt seine Unkenntnis der Studie und der benutzten statistischen Verfahren. Schaut man sich die Durchschnitte der Antworten in den elf Studien an, dann variieren sie im Durchschnitt im mittleren Bereich der Skala (andere Werte geben die Autoren nicht an). Mit anderen Worten: die 2168 Befragten gaben bedächtige, überlegte Antworten. Würde Sebastian Herrmann recht haben mit seiner Lesart freizügigen Einräumens, müssten die Durchschnittswerte weitaus höher liegen. Sein Text pflegt den abfälligen Ton der Verachtung. Ich bin kein Freund dieser Art von statistisch (naturwissenschaftlich) orientierter Forschung. Aber bevor man lacht, sollte man prüfen, worüber man lacht.

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