Dienstag, 2. Februar 2016

Journalistische Kopflosigkeit II

Wir haben eine Erinnerungskultur, eine Streitkultur, seit neuestem eine Wilkommenskultur und seit heute: eine Verabschiedungskultur. Der Wort-Erfinder heißt: Berthold Kohler. Er ist der Autor des heutigen Kommentars auf der ersten Seite der Frankfurter Allgemeine Zeitung (2.2.2016, Nr. 27) mit dem Titel: Merkels Satz. Er erinnert an den Satz der Bundeskanzlerin, die ihre Erwartung so adressierte: "Wir erwarten, dass, wenn wieder Frieden in Syrien ist und wenn der IS im Irak besiegt ist, dass Ihr auch wieder, mit dem Wissen, was Ihr jetzt bei uns bekommen habt, in Eure Heimat zurückgeht". Der Satz ist so verdrechselt, dass an ihn besser nicht erinnert wird. Schon die Anrede ist seltsam: seit wann werden fremde Erwachsene bei uns geduzt? Was soll das Wir erwarten? Auf die Einladung folgt die Ausladung. Auf das Versprechen der Integration folgt die Befristung des Versprechens. Dann das zweifache Wenn  und das bemerkenswert verkürzte Futurum II (was Ihr jetzt bei uns bekommen habt). Ja, was werden die Angesprochenen jetzt bei uns bekommen haben werden? Weiß niemand. Weder kann man den Prozess der Integration forcieren noch dessen Dauer prognostizieren. Er hat noch nicht begonnen und schon soll er beendet sein? Wie passen jetzt  und futurum exactum zusammen? Gar nicht. Auf die eine Unklarheit folgt die nächste Unklarheit. Auf die eine Unsicherheit folgt die nächste. Gedanken-Kreisen: könnte man das nennen. Hoffentlich wird unserer Kanzlerin nicht schwindlig.

Der Satz sei, schreibt Berthold Kohler, "ein Beleg dafür, dass Merkel verstanden hat, was im Land und in ihrer Partei los ist". Hat sie das? Wir hatten das schon. Gastarbeiter kamen und blieben - anders als Gäste, die gehen. Jetzt können sie kommen und sollen wieder gehen. Das glaubt unsere Kanzlerin  Leuten sagen zu können, die sie duzt.

Berthold Kohler schlägt einen weiteren Purzelbaum. Der Satz der Kanzlerin hätte eine "zweite Funktion": die der politischen Vorsorge. Sollte die Flüchtlingspolitik revidiert werden müssen, würde, so des Autors Argument, "der Regierungssprecher Belege dafür brauchen, dass die Kanzlerin dieses und jenes schon immer gesagt und gefordert habe. Die kluge Frau baut vor - und ihr Archiv rechtzeitig aus". Berthold Kohler, einer der Herausgeber der Frankfurter Tageszeitung, bewirbt sich für eine Anstellung im Bundeskanzleramt. Für dieses und jenes. Zum Anlehnen.


(Überarbeitung: 11.1.2017)

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