Montag, 29. Februar 2016

Fernsehjournalismus-Lektüre: über die Ohnmacht der Fernseh-Macht - die Talkshow "Anne Will" am 28.2.2016

Riesen-Theater am Sonntagabend um 21.45 Uhr. Unser Erstes blies zum Halali oder zum Turnier der Ritterinnen - wie man will. Anne Will gegen Angela Merkel. Ein unsichtbarer, von einer A.R.D.-Redaktion beauftragter Anschmeisser dröhnte durchs Studio : Deutschland  gespalten, in Europa isoliert - wann steuern Sie um, Frau Merkel? Daraufhin wurde die Kamera mit einem mächtigen Schwung auf die beiden Damen zugeschleudert - diese Bewegung kennen wir von Sport-Übertragungen. Anne Will begrüßte ihr Publikum vor den Mattscheiben und im Studio, die Kanzlerin, legte los und überhörte deren ersten Satz: "Schön, Sie wieder zu sehen!"

Schade. Eine persönliche, wenn auch wahrscheinlich nicht sponane Bemerkung sollte man nicht ins Leere laufen lassen. Aber Anne Will, ihre redaktionelle Mannschaft und ihre vielen Kollegen und Kolleginnen, Brötchengeberinnen und Brötchengeber (der A.R.D.) im Rücken oder im Kopf, das Publikum vor Augen und der Bundeskanzlerin gegenüber, klammerte sich an ihren Auftrag der Konfrontation: "Haben Sie die Stärke und die Liebenswürdigkeit der vielen Deutschen ein bisschen unt-... überschätzt?"

Nein, natürlich nicht, antwortete die Bundeskanzlerin sinngemäß; sie müsse sich nach der letzten Sendung mit Anne Will nicht korrigieren. Was gegenwärtig statt fände, sagte sie (wiederum sinngemäß), sei eine Auseinandersetzung um das Verständnis und die Identität der Bundesrepublik. Angela Merkel hielt das Gespräch offen und ließ sich nicht zwingen, die Frage der Sendung im Sinne der Sendung zu beantworten. Sie verstünde ihr Amt darin, ihre Politik, die sie für richtig halte, optimistisch zu behaupten. Damit erledigte sich die A.R.D.-Frage; das Turnier war bereits im ersten Durchgang entschieden; so einfach, wie die Fernsehleute dies dachten, war die Ritterin aus dem Bundeskanzleramt nicht aus dem Sattel zu hebeln. Angela Merkel ritt aufrecht aus dem Studio nach Hause.

Anne Will war schlecht vorbereitet; was sie zur Verfügung hatte, war eine hastige Zeitungslektüre beim Frühstück. Konzeptionell war sie auch schlecht ausgerüstet: TV-Getöse ersetzt keine Begegnung und kein Gespräch. Den möglichen, (etwas) persönlichen Kontakt ließ sie bei der Monumentalität der Studio-Inszenierung verstreichen. Ich vermute: darauf war sie nicht vorbereitet. Naßforsche Konfrontation ist der häufig zu beobachtende Ausfrage-Stil des typischen TV-Journalismus. Ein Gespräch ist nicht beabsichtigt. Positionen werden abgefragt, aber nicht erörtert.

Die 60 Minuten Anne Will drehten in einer Art hochtourigen Leerlaufs. Am Ende lief es wieder auf das vertraute Fernseh-Geschäft hinaus: wahrscheinlich gab es eine ordentliche Einschaltquote - gut für die Firma Anne Will und für die Programmmacher - und eine Atempause/Vertagung für die Bundeskanzlerin, die die Komplexität ihrer Lage nicht diskutieren musste. Alles beim Alten: kein Grund zur Besorgnis. So wurde die gegenwärtige existenzielle Beunruhigung kurz beruhigt.       

 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen