Mittwoch, 10. Dezember 2014

Der CDU-Parteitag in Köln: das rhetorische Spiel der Parteivorsitzenden mit Inklusion und Exklusion

Gestern, am 9.12.2014, hielt die Vorsitzende der Christlich-Demokratischen Union ihre Rede von gut 70 Minuten. Einige Kontexte greife ich auf.

1. George Packer schrieb in seinem Text The Quiet German (in der Zeitschrift The New Yorker vom 1.12.2014; s. meinen Blog vom 3.12.2014 und vom 11.1.2012) über die Rednerin Angela Merkel im Bundestag (zur Zeit des zurückliegenden Sommers): "Angela Merkel, the Chancellor of the Federal Republic of Germany and the world's most powerful woman, is making every effort not to be interesting". Angela Merkel, war mein Eindruck, als ich auf Youtube ihre Rede sah, sprach gegen diese Beschreibung an: sie hatte offenbar die Rede so gut geübt, dass sie hier und da den Text verlassen konnte, und bemühte sich um einen polemischen, deutlich gesprochenen Ton, als sie ihrem Koalitionspartner dessen Brankrotterklärung vorhielt. Was, sollte meine Vermutung zutreffen, die Frage nach den Rede-Autoren und den Rede-Regisseuren stellt.

2. Mit Liebe Freunde adressierte Angela Merkel ihre Rede an die Delegierten ihrer Partei. Man müsste die Delegierten befragen können, ob und inwieweit sie sich vom persönlichen Tonfall angesprochen fühlten. Er galt auch dem anderen, unsichtbaren Publikum, das die Rede ganz oder in Ausschnitten in den Nachrichten-Sendungen sieht und hört (Funk & Fernsehen) und in den Berichten der Presse davon liest. Liebe Freunde.

3. Angela Merkel sprach in ihrer Funktion und Rolle als Parteivorsitzende; ihre Funktion und Rolle
als Bundeskanzlerin stellten den Subtext ihres Auftritts. Ein einziges Mal markierte sie ihre Position als Parteivorsitzende - wenn ich richtig gezählt habe - ; ansonsten sprach sie in den bedeutungsvollen Kontexten aus dem Amt als Kanzlerin heraus und verwies auf die Leistungen ihrer Regierung; sie machte zumindest keine deutlichen Unterschiede. Unter dem Stichwort des Kanzlerbonus wird bei uns die parteipolitische Auseinandersetzung toleriert. Ich finde die Vermischung nicht in Ordnung. Sie ist so alt wie die Bundesrepublik. Als Bundeskanzlerin ist sie für das deutsche Volk verantwortlich; ihre Aufgabe ist die Integration - also auch ihrer Nicht-Wähler.

4. Wie in jedem Verein werden auf einer Mitgliederversammlung die Leistungen der Mitglieder gewürdigt; das dient ihrer Inklusion: die Mitglieder sollen Mitglieder bleiben. Die Inklusion dient der Selbst-Vergewisserung: es muss sich lohnen, Mitglied zu sein. Angela Merkel zählte die Leistungen der CDU-Kabinettsmitglieder sowie anderer Kolleginnen und Kollegen in politischen Ämtern auf. Die Inklusion diente der Exklusion der Nicht-Mitglieder. Vereine können das tun, aber für politische Parteien, die Wähler-Mandate repräsentieren und sich gleichzeitig um neue Wähler-Mandate bemühen, ist diese Art rhetorischer Taktik seltsam.
Im Fall ihrer Rede warb Angela Merkel für  und gegen Koalitionen: für den natürlichen Partner, wie sie sagte, der F.D.P. , und den (vielleicht) künftigen Partner der Grünen;  aber gegen die Sozialdemokraten und gegen die Linken. Zu dem Problem, Kanzlerin und Parteivorsitzende zu sein, machte sie keine Bemerkung. Mit ihrem Wort von der Bankrotterklärung der Sozialdemokraten, mit der Linke und den Grünen in Thüringen die Regierung zu bilden und den eigenen Stolz dabei zu vergessen, hackte die Parteivorsitzende Holz. Wie wohl ihre sozialdemokratischen Kabinetts-Kolleginnen und - Kollegen darauf reagieren?

5. Die Probleme der zunehmenden Armut und des wachsenden Unmuts, der sich hier und da mit der Affektion des Hasses artikuliert, ließ Angela Merkel unerwähnt - die gewalttätigen Ausbrüche in Köln vor einigen Tagen waren nur der Anlass, Hoffnung auf ihre Sicherheits-bewusste Regierung und deren CDU-Mitglieder zu machen. Ihre Rede war unscharf in der Wahrnehmung der aktuellen Not.

6. Mit 96,7 Prozent wurde die Parteivorsitzenden in ihrem Amt bestätigt. Der hohe Prozentsatz macht aufmerksam auf eine forcierte Übereinkunft der Konflikt-Vermeidung - man kann vermuten, dass das Wort von der Bankrotterklärung in seiner externalisierten Aggressivität die Verunsicherung der Parteimitglieder verdecken soll; das Ergebnis ist üblicherweise Resultat verordneter Ergebnisse und spricht für eine Demokratie-Scheu.

7. Angela Merkel pflegte die meiste Zeit ihrer Rede den Blick zurück - bis zu Konrad Adenauer. So war ihre Rede eine Variation des alten CDU-Slogan Keine Experimente - obgleich sie dafür votierte, mutig zu sein.  

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