Dienstag, 23. Dezember 2014

Kränkung als politisch verstandene Strategie?

Als ich gestern in der Rubrik Außenansicht der SZ den Text von Martin Becher las (22.12.2014, S.2) Was gibt's da zu lachen? Darf man Späße über Neonazis machen? Wieso Humor gegen Rechts befreiend wirkt - und bei Pediga an seine Grenzen stößt - musste ich an George Orwells Text Revenge Is sour denken, den ich in meinem Blog vom 3.5.2011 zum ersten Mal erwähnte:


"Revenge is sour" schrieb George Orwell 1945, als er mit einem belgischen Kollegen in Süddeutschland ein Kriegsgefangenenlager besuchte und das Vergnügen beobachtete, wie ein angeschlagener Offizier der Schutz Staffel einen heftigen Tritt gegen seinen deformierten Fuß erhielt. Der Tritt war verständlich, fühlte George Orwell dieses Vergnügen nach: "Who would not have jumped for joy, in 1940, at the thought of seeing S.S. officers kicked and humiliated? But when the thing becomes possible, it is merely pathetic and disgusting". Genau gesprochen, überlegte George Orwell, gibt es nicht so etwas wie Vergeltung. Sie ist die fantasierte Handlung im Zustand der Machtlosigkeit - ist der Zustand aufgehoben, verflüchtigt sich der Wunsch nach Rache, so Orwell.

Das Vergnügen am 16.11.2014 in Wunsiedel war - vermute ich - ähnlich: dort am Ort des Grabmals von Rudolf Heß, an den einmal im Jahr von einer  als neonazistisch etikettierten Gruppe öffentlich erinnert wird - woran dabei die einzelnen Mitglieder denken, ist sicherlich nicht bekannt, wenn wir von der einfachen Identifizierung eines Festhaltens an nationalsozialistische Ideen oder Affekte (welche auch immer) absehen - , wurde in diesem Jahr der gemeinsame Gang durch den Ort zum Grab (oder vom Grab zurück) zu einem Spendenlauf verfremdet. Jeder zurückgelegte Meter wurde mit 10 Euro honoriert, die der Organisation Exit zu gut kamen; ein Plakat spottete: wenn das der Führer wüsste.

Ja, wenn das der Führer wüsste. Es war bestimmt lustig. Martin Becher schrieb dazu:
"Viele Menschen empfanden unsere ironisch-spöttische Aktion als Befreiung - endlich einmal fand die Auseinandersetzung mit Neonazis nicht in einer schweren und moralisch beladenen Form statt". Sicher, 
die Leute in Schwarz wurden vorgeführt: depotenziert und verspottet. Wie mögen sie selbst das erlebt haben? Wahrscheinlich war der Spendenlauf für sie kränkend und beschämend - wenn sie es denn zugeben könnten. Ist das in Ordnung und ist das hilfreich? Kränkungen warten darauf zurückgezahlt zu werden. Systematische Kränkungen, das leite ich aus unserer demokratischen Verständigung auf die Würde des Menschen ab, sind nicht gestattet. Sie ermöglichen keinen Dialog, sondern sie beleben die Fantasien der Vergeltung. Inwieweit sie den Charakter von Beschämungen haben, die nicht mehr vergessen werden, lässt sich von außen nicht sagen. Der Triumph der eigenen Gewitztheit ist von kurzer Dauer.

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