Donnerstag, 25. Dezember 2014

Die Leute von Pediga II: gut, dass sie sich in Dresden auf die Straße trauen

Wie immer die Sympathisanten, Befürworter, Anhänger und Propagandisten des Montagstreffens (in Dresden) sich zusammensetzen (wir wissen es nicht, wie) und sich zusammenfinden unter dem Transparent Pegida - es ist ein Fortschritt in der Auseinandersetzung und Klärung deutscher Vergangenheit und bundesdeutscher Gegenwart. Zum ersten Mal (ich hoffe, ich erinnere mich richtig) wird von Vielen unsere Öffentlichkeit gesucht. Und nicht nur die Artikulation mit dem Kauf und der Lektüre des Sarrazin-Buches oder die Diskussion in den mehr oder weniger geräumigen privaten vier Wänden. Nein, es wird eine Auseinandersetzung und Klärung explizit erzwungen.

Das ist Demokratie, finde ich. In der Demokratie hat man ständig mit Leuten zu tun, die anderer Auffassung sind und deren andere Auffassung man zu tolerieren hat. Das ist lästig, anstrengend und mühsam: man muss andere auch zu Wort kommen lassen. Anders geht es nicht. Manche missverstehen diesen Prozess. "Wenn man aus den Demonstrationen in Dresden etwas lesen darf, dann ist es das offenbar dringende Bedürfnis", schreibt Cornelius Pollmer in der Süddeutschen Zeitung (24./25./26.12.2014, S. 4, Nr. 296), "sich einmal öffentlich auszukotzen". Auskotzen: jemand, der oder die dieses Verbum benutzt, unterschätzt die Stärke des Affekts - man wird ihn eben nicht so einfach los, wie die Alltagsauffassung vom Rauslassen nahe legt: Sag es und du bist es los. Nein, heftige Affekte sind kumuliert - lebensgeschichtlich gewachsen. Sie verlangen eine Einfühlung - ein Verständnis dieses Prozesses. Sie wollen gehört und wahrgenommen werden. Wer zum Auskotzen auffordert, will nicht hinhören; er ist mit der eigenen Tagesordnung beschäftigt.

Zum Glück gibt es in derselben Ausgabe der Süddeutschen Zeitung eine andere Stimme: Christoph Butterwegge in der Außenansicht auf Seite Zwei. Er beschreibt in seinem Text Die Entdeckung der Armut. Die rot-grüne Arbeitsmarktreform vor zehn Jahren hat das Bild vom bedürftigen Menschen grundlegend verändert - den Prozess der allmählichen Exklusion - ja: Exklusion! -  der bundesdeutschen Bevölkerung, die von Hartz IV - Unterstützungen abhängt:

"Hartz IV hat in erheblichem Ausmaß zur sozialen Entrechtung, Entsicherung und Entwertung eines wachsenden Bevölkerungsanteils beigetragen, der besonders in einer wirtschaftlichen Krisensituation als 'unproduktiv' und 'unnütz' gilt. Teilweise verhöhnt man Hartz-IV-Betroffene regelrecht".

Christoph Butterwegge sagt nichts zu Pediga. Man kann seinen Text auch nicht dafür benutzen, darüber zu spekulieren, wer sich Pediga anschließt. Er macht aufmerksam auf einen undemokratischen bundesdeutschen Prozess der Exklusion. Mit anderen Worten: wir erleben gerade das explizite bundesdeutsche Ringen um unser demokratisches Selbstverständnis.

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