Mittwoch, 17. Dezember 2014

Lektüre einer politischen Lektüre III

Heute, am 17.12.2014, beschäftigt sich Nico Fried von der SZ (Nr. 290, S. 4) mit der Bankrotterklärung, die die Parteivorsitzende Angela Merkel in Köln an ihren Koalitionspartner adressierte (s. meinen Blog vom 10.12.2014).  Nico Fried liest die deftige Vokabel so:

"Vor allem aber war das, was eine Provokation Merkels an die Adresse der SDP daherkam, eigentlich die verkappte Liebeserklärung einer treuen Seele. Denn nach neun gemeinsamen Jahren ist klar, dass die Kanzlerin ohne die Sozialdemokraten niemals geworden wäre, was sie ist - und dass sie es ohne SPD nicht bleiben kann, wenn sich eine Partei wie die AfD etablieren sollte. Die SPD ist nicht nur Merkels natürlicher Koalitionspartner, sondern eigentlich auch ihr einziger. Wahrscheinlich war sie einfach nur zu schüchtern, um das mal offen zu sagen".

Da fällt mir zuerst Alfred Hitchcocks glänzender North By Northwest (Drehbuch: Ernest Lehman) ein. Da gibt es im letzten Viertel die Szene, in der Eve Kendall (Eva Marie Saint) Roger O. Thornhill (Cary Grant) im Restaurant am Mount Rushmore (das heute ganz anders aussieht) niederschießt. Zum Glück mit Platzpatronen; denn die ganze Szene war abgesprochen und inszeniert. Das findet dann auch Leonard (Martin Landau), die böse rechte Hand des bösen Phillip Vandamm (James Mason), heraus: es war, erklärt er, ein alter Gestapo-Trick: erschieße deine eigenen Leute, um zu demonstrieren, dass du nicht auf ihrer Seite bist; dieses Mal seien es nur Platzpatronen gewesen.

Ob die CDU so raffiniert ist, weiß ich natürlich nicht. Aber dass die Parteivorsitzende und Bundeskanzlerin so gehemmt sein soll, glaube ich auch nicht. Bleibt die Frage, wessen Sprachrohr sie in wessen Absicht war. Mit der Rede von der Schüchternheit vergackeiert der SZ-Journalist den Zeitungsabonnenten und witzelt über seine eigene Unkenntnis und Konzeptionslosigkeit hinweg. Schüchternheit gehört in den persönlichen Kontext einer Interaktion, nicht in den öffentlichen Kontext einer politisch inszenierten Rede.

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