Montag, 6. Oktober 2014

Facebook und die Konformität

Das Netz - diese Groß-Struktur, die wir wie alle Strukturen nicht ohne weiteres sehen, in der wir uns aber (irgendwie) bewegen können (wie ich hier) - ist der Grund oder Anlass (wie man will) für unseren
kulturellen Untergang. Als Kinogänger, der 1950 zum ersten Mal eins dieser (damals) plüschigen Film-Theater aufsuchte, kommt mir dieser apokalyptische Tonfall vertraut-heimelig vor. Damals war das Kino der Grund allen Übels, dann kam das Fernsehen (Wir amüsieren uns zu Tode), dazwischen die comics, die einem das Lesen abgewöhnten, dann kam die Gewalt im Kino, dann die Gewalt im Fernsehen - und jetzt das: Netz. "Google, Facebook und Twitter fördern Konformismus. Wer unpopuläre Meinungen vertritt, geht unter", schreibt heute Johannes Boie in der SZ (6.10.2014, Nr. 229, S. 9). Der Konformitätsdruck. "Im Netz", so Johannes Boie, "kann man dieses Phänomen beobachten wie nirgends sonst". Ich hatte immer gedacht, die Konferenzen, in denen die Chefs ihre Politik behaupten, wären der beste Ort fürs Studieren des Anpassungsdrucks.

Ich bin, obwohl ich dort registriert bin, kein Kenner des facebook. Es ist mir zu umständlich, und außerdem verirre ich mich regelmäßig in den verschiedenen Rubriken. Neulich entdeckte ich eine Nachricht an mich, die vor gut einem Jahr an mich gesendet worden war. Meine Tochter ist eine virtuose Nutzerin; mit ihr tausche ich mich darüber regelmäßig aus. Wie immer muss man sich gut erinnern an die eigene Zeit der Adoleszenz - die war enorm schwierig. Ich ertappe mich manchmal dabei, wie ich fantasiere: was wäre gewesen, hätte es damals facebook gegeben? Wahrscheinlich hätte ich nicht Stunden vor dem schwarzen Telefonapparat gesessen und auf den Anruf meiner Schulfreundin gewartet. Facebook ist doch offenbar aus dieser Not entstanden: als ein Mittel der Selbst-Präsentation mit der Absicht, jemanden, an die oder an den sie adressiert ist, zu gewinnen; als ein Mittel der Selbst-Vergewisserung, wozu viele adoleszente Freundschaften dienen; und als ein Mittel der Inklusion. Facebook ist veröffentlichter Klatsch und die mehr oder weniger gut kontrollierte Weitergabe der Bewegungen des inneren Dialogs. Während ich früher stundenlang im inneren Dialog mit meiner Schulfreundin sprach, kann man heute diesen sehnsuchtsvollen, quälenden Prozess abkürzen.

Was ist schlimm daran? Natürlich gibt es die mit den Veröffentlichungen innerer Prozesse verbundenen unbarmherzigen Ausgrenzungen und Hetzjagden. Die waren früher - ich spreche von den 50er Jahren -
auch gang und gäbe. Wahrscheinlich, so beobachte ich es bei meiner Tochter, verändert sich der Umgang mit facebook in dem Maße, in dem sich die experimentellen adoleszenten Beziehungen verändern - dann schaut man, ähnlich wie man es mit den eigenen Eltern macht, mal rein und sieht, was läuft.  

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