Mittwoch, 15. Oktober 2014

Wann ist Klatsch relevant?

Klatschen macht Spaß. Ich kenne keine Studie zur Häufigkeit dieser Aktivität, aber ich vermute: es wird täglich betrieben. Klatschen ist trivial, aber schön: es dient der Vergewisserung einer Beziehung mit dem Preis der projektiven Exklusion eines Dritten. Karl ist eine Pfeife, verständigen sich Emil und Horst; Karl ist natürlich abwesend. Das Muster lässt sich endlos variieren. Wäre Cole Porters Let's do it, let's fall in love nicht ein so herrlich elegantes Lied, könnte man es aufs Klatschen umdichten. Klatschen ist das Spiel von Inklusion und Exklusion. Wird der Klatsch einem Dritten kommuniziert, wird er zu einer - sagen wir - persönlichen (Beziehungs-)Politik. Dann wird das triviale Spiel ernst - es rumort dann in dem Beziehungsgefüge, in dem der Stein des Klatsches eine Erschütterung erzeugt.

Am vergangenen Sonntag (12.10.2014) wurde es bei Günther Jauch ernst. Der ehemalige Bundeskanzler Helmut Kohl hatte gegenüber dem Journalisten Heribert Schwan, der ihn für das Memoiren-Geschäft 600 Stunden interviewt hatte - also 24 Tage lang - , geklatscht; er hatte sich über Kollegen und Kolleginnen abfällig-robust geäußert. Heribert Schwan hat diese Äußerungen in ein Buch eingearbeitet, das jetzt auf dem Markt ist; der SPIEGEL hatte mit einem ausführlichen Bericht die Publikation eingeläutet. Ist es wichtig, diesen Klatsch zu kennen?

Darüber stritten die Anwesenden. Je nach Interessenlage fiel die Antwort aus. Die Journalisten waren dafür, der Anwalt Helmut Kohls und der ehemalige bayrische Ministerpräsident dagegen; Frau Seebacher-Brandt votierte für das demokratische Recht der freien Meinungsäußerung. Was nun? Man kann ein paar Regeln daraus ableiten. 1. Wer klatscht, sollte ganz sicher sein, dass der andere nicht klatscht; es sei denn, man möchte, dass der andere klatscht. 2. Klatsch ist an den oder die, über den oder die geklatscht wird, nicht adressiert; also ignoriert der oder die Beklatschte am besten (zur eigenen Psychohygiene) ihn wie eine verkehrt zugestellte Post. 3. Wer klatscht, sucht die Beziehungs-Vergewisserung und benutzt - vielleicht - auch den Klatsch als Macht-Mittel; wer klatscht, arbeitet also mit bescheidenen Beziehungs-Mitteln. 4. Wer klatscht, sagt viel über die eigene Bedürftigkeit. 5. Klatsch gehört in den Kontext der Vergewisserung; deshalb sagt er gar nichts über den oder die, dem oder der der Klatsch gilt.

Aber Helmut Kohl hatte nicht nur geklatscht, wurde in der Sendung bekannt: er hatte die Effektivität der Herbst-Demonstrationen für die Auflösung der Deutschen Demokratischen Republik bezweifelt; in deren ökonomischer Not sah er den entscheidenden Grund. Das war nicht neu, bestätigte meine Erinnerung. Denn damals wurde der Sieg des Kapitalismus mächtig gefeiert - die Idee der Demokratie weniger. Die Frage, wie öffentlicher Protest und internes Macht-Kalkül sich beeinflussen, wurde nicht diskutiert. Das wäre eine eigene Sendung gewesen. Helmut Kohls Vermutung wurde aus der Perspektive des Klatschens verstanden: er hatte sich in dem öffentlichen Kontext anders geäußert als im internen Kontext. Womit wir 6. bei dem Grundproblem von Privatheit und Öffentlichkeit sind und 7. bei der Diskrepanz von verschwiegener und veröffentlichter Politik. 8. Die Wahrheit des Klatsches gibt es nicht: der Klatsch ist bezogen auf einen bestimmten Beziehungskontext; über die zugrunde liegenden Beziehungsprozesse sagt er nichts. Für das Verständnis politischer Prozesse ist er irrelevant. 9. Wie immer müssen wir unseren eigenen Reim machen (s. meinen Blog vom 22.9.2014). Die Zentren der Macht erfahren wir meistens erst später. 10. Auch nicht, was im Zentrum der A.R.D.-Macht läuft und wie es zu dieser Sendung, die (offenbar) mit dem Vergnügen am Klatsch ihre Quote zu erzielen suchte, kam; auch der talk, das ist nicht neu, ist ein Geschäft und spielt mit der Inklusion und der Exklusion: wehe dem, der klatscht

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