Mittwoch, 29. Oktober 2014

Zellen-Zauber

Das Interview von Patrick Illinger mit Edvard Moser, dem Nobelpreisträger für Medizin, wurde in der SZ (27.10.2014, S. 18, Nr. 247) in der Abteilung Wissen veröffentlicht.

Die erste Frage von Patrick Illinger: "Sie haben also das innere GPS-System des Menschen gefunden?"
Edvard Moser antwortet: "Zum Teil stimmt das. Ich würde eher sagen, meine Frau May-Britt, John O'Keefe und ich haben die innere Karte entdeckt, mit der das Gehirn räumliche Strukturen erfasst. Verschiedene Gehirnzellen übernehmen dabei verschiedene Aufgaben, um die Umgebung zu kartieren. Es fing mit O'Keefe an, der Ortszellen fand. Wir haben 30 Jahre später Ortszellen gefunden, die dem Raum eine Art gitterförmiges Koordinatensystem überstülpen. Wie eine Matrix, die sich über die Umgebung legt, in der sich eine Maus oder der Mensch bewegt".

Ich kann nur staunen: was diese Zelle alles kann. Normalerweise werden an den Synapsen chemisch-elektrische Impulse erzeugt und die so genannten Botenstoffe (von denen niemand weiß, welche Botschaft wie codiert ist ) weiter gegeben, weshalb Psychopharmaka die Regulation dieser Stoffe zu beeinflussen suchen, was ein äußerst kompliziertes und nicht immer erfolgreiches Unterfangen ist. Jetzt gelingt es den Zellen, die Umgebung zu kartieren. Wie das? Ortszellen stülpen dem Raum so etwas wie ein gitterförmiges Koordinatensystem über. Wie kann man sich das vorstellen? Überstülpen? Edvard Moser spricht in Bildern; die Bilder sind Abstraktionen. Sie machen die Zellen zu organisierenden, ordnenden Subjekten. Wie soll das gehen? Neurowissenschaftler benutzen für diesen Kontext das Bild der Verschaltung oder, wie Edvard Moser, Verdrahtung oder wie Gerald M. Edelman, Gruppierung. Die Frage bleibt: wie organisieren sich oder wer organisiert die einzelnen Zellen?

In der Gruppenpsychotherapie nimmt man die Einheit einer Gruppe an, die aus mehreren oder vielen Mitgliedern besteht. Die Zahl der Mitglieder entscheidet über die Art der Gruppe. Gruppen bewegen sich in beschreibbaren Beziehungsmustern. Diese Muster sind nicht zu sehen; man muss sie explorieren; die Mitglieder geben darüber Auskunft, was sie wie innerhalb einer Gruppe bewegt. Ein Neurowissenschaftler behauptet die Innenansicht; er hat sie aber erschlossen vom Verhalten einer Maus, wie
Edvard Moser andeutet. Man müsste die Verfahren seiner Ableitungen kennen. Gitter, Koordinaten, Verdrahtung sind Bilder und Abstraktionen anderer Disziplinen. Gelten sie auch für lebende Systeme?
Leider erfahren wir dazu nichts. Patrick Illinger bewegte sich lieber in den Bildern als die mühseligen Forschungsschritte zu rekonstruieren. So bleibt viel Zauberei im Dunkeln. In Köln gibt es ein Restaurant, da isst man im Dunkeln; blinde Kellner bedienen; will man seinen Platz verlassen, muss man um Hilfe bitten; jemand nimmt einen dann an die Hand. Im Dunklen ist man sofort verloren. Eine Maus offenbar nicht. Das GPS-System, das meinen Wagen füttert und mich orientiert, funktioniert  auch im Dunkeln.

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