Mittwoch, 29. Oktober 2014

Was lernen wir aus unserer Vergangenheit?

Am 24.10.2014 machte  die SZ ( Nr. 245) auf ihrer ersten Seite mit diesen Schlagzeilen auf:
"Berlin soll für NS-Unrecht in Italien haften. Verfassungsrichter in Rom setzen sich über den internationalen Gerichtshof hinweg: Frühere Zwangsarbeiter oder Angehörige der Opfer von NS-Massaskern dürfen Deutschland auf Schadenersatz verklagen". Im Text heißt es dann, der Autor ist Stefan Ulrich, Journalist und promovierter Jurist (im Presserecht):
"In Berlin wird schon seit langem befürchtet, dass ein solches italienisches Beispiel in anderen einst von  Nazi-Deutschland geschundenen Ländern wie der Ukraine, Russland und Griechenland Schule macht. Auch deshalb hatte sich die Bundesregierung an den Internationalen Gerichtshof gewandt. Sie argumentierte in Den Haag, die Staatenimmunität sei ein Eckpfeiler der internationalen Ordndung und diene dem friedlichen Zusammenleben der Staaten miteinander, auch und gerade nach Kriegen mit massenhaftem Unrecht".

Innerhalb des Blattes (auf S. 4)  kommentierte Stefan Ulrich das Votum der römischen Richter (S. 4). "Was würde geschehen", fragte er, "wenn die Bundesrepublik wirklich alle ausländischen Opfer des NS-Staates beziehungsweise deren  Angehörige individuell entschädigen müsste? Deutschland würde unter Millionen Ansprüchen zusammenbrechen."

Ja, was würde geschehen? "Mehr als elf Millionen Zwangsarbeiter", schreibt Klaus Körner in seiner 2001 erschienen Publikation (14 Vorwände gegen die Entschädigung von Zwangsarbeitern. "Der Antrag ist abzulehnen"), "wurden zwischen 1939 und 1945 in der deutschen Kriegswirtschaft eingesetzt" (S. 11). Inzwischen wurden von den bundesdeutschen Regierungen Entschädigungen für die Zwangsarbeiter veranlasst. 2001 wurde vom Bundestag der Stiftungsiniative der deutschen Wirtschaft die so genannte Rechtssicherheit zugestanden: dass deutsche Firmen keine Klagen aus den U.S.A. zwecks Entschädigungen zu erwarten haben. In die Fonds konnte also eingezahlt, seine Gelder  ausgezahlt werden. Würde Deutschland, müsste es weitere Gelder aufbringen - zusammenbrechen?Stefan Ulrich gibt sich in seinem Kommentar besorgt - als müsste er die bundesdeutsche Zahlungsfähigkeit schützen.

Seltsam ist, dass er sich schlecht erinnert. Die Zahlungsfähigkeit der  jungen Republik war damals, am Beginn der 50er Jahre, das konstante Argument der konservativen Regierung; das Funktionieren der Wirtschaft das spätere Argument.  Seitdem gehören das unverfrorene, großpratzige, juristisch ausgepolsterte Lavieren einer erstaunlichen, irgendwie vertrauten Gewissenlosigkeit in den Verhandlungen und die Schäbigkeit der ausgehandelten Geldzahlungen  zur Geschichte der Bundesrepublik.  Die Bildung der Machtblöcke half den westdeutschen Politikern, die im Laufe der Dekaden ihre moralischen Vorsätze vergaßen: die Kosten der Bundeswehr waren in den 50er Jahren das Argument der Verrechnung zur Reduzierung der Entschädigungskosten. Die Politik der Bundesrepublik zur Linderung des irreparablen Leids und der Schädigungen lässt sich, so Klaus Körner, auf die Formel bringen: Schutz der bundesdeutschen Firmen vor der Not, von ihrem Reichtum, der in den nationalsozialistischen Jahren entstanden war, mehr als ein Minimum abzugeben. Die Nachfahren der damaligen Verantwortlichen sind bekannt. Bundesdeutsche Gesetzgebung schützt sie buchstäblich vor Klage-Verfahren.

Die italienischen Verfasssungsrichter sind zu verstehen: es geht um die Linderung des Leids und um die Anerkennung des Unrechts. Anders als manche oder viele - wir wissen es nicht genau - Bundesdeutsche können unsere Nachbarn sich gut erinnern. Das Funktionieren von Europa hängt auch davon ab, inwieweit unsere Repräsentanten bereit sind, deren Erinnerungen zu teilen.

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